Statement zum Umgang mit Sommersonnenwendfeiern im Landkreis Görlitz

Mit großer Sorge stellen wir fest, dass unter den in diesem Jahr im Landkreis Görlitz veranstalteten Sommersonnenwendfeiern erneut einzelne den offenen Anschluss an völkische und nationalsozialistische Brauchtumspflege zelebriert haben.

Besonders heraus gestochen ist in diesem Jahr eine Veranstaltung in Herrnhut im Ortsteil Strahwalde. Am Nachmittag und Abend des 22. Juni 2024 vollzog sich hier ein Ritual, bei dem der Stil, die Auswahl der Lieder und die Inhalte der sogenannten Feuersprüche einen eindeutigen Bezug zur Hitlerjugend aufwiesen. Unter Begleitung von typischen Trommelschlägen zogen die auffallend zahlreich in weißen Hemden gekleideten jungen Männer  neben anderen Männern und Frauen in Trachten zum Holzstapel. Mit Fackeln vollzogen sie eine Zeremonie, in deren Ergebnis sie den Stapel entzündeten.

Nachdem dies erfolgt war, stimmten sie unter anderem das Lied Nur der Freiheit gehört unser Leben an, das Hans Baumann 1935 eigens für die Hitlerjugend gedichtet hat. Anschließend sagten einzelne Teilnehmer*innen Feuersprüche auf, die die Anwesenden mit einem lautstarken „Heil Sonnenwende“ bejahten. Darunter Sprüche auf „die deutsche Jugend“. Einer rief, sie würden ihre „Leben der Ehre Deutschlands“ widmen und sie schworen „auf das Deutsche Volk und auf Deutschland“.

In einem der letzten Feuersprüche wurde dem „Löbauer SS-Standartenführer Max Wünsche“ gehuldigt. Wünsche war Nationalsozialist der ersten Stunde, Mitglied der HJ seit 1932, diente Adolf Hitler persönlich als Ordonanzoffizier und war im Zweiten Weltkrieg zuletzt verantwortlich für den Aufbau der 12. SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“, in der massenhaft Hitlerjungen rekrutiert und unter seiner Kommandantur in den Krieg geschickt wurden. Im selben Atemzug ehrten die Teilnehmenden zugleich sämtliche Ritterkreuzträger, also Soldaten, die im Rahmen der nationalsozialistischen Kriegsführung für ihre Leistungen ausgezeichnet wurden.

Unter den Anwesenden war auch der Militär-Historiker Peter Hild, der seit ein paar Jahren in Mittelherwigsdorf lebt und sich bestens mit den Ritterkreuzträgern auskennen dürfte. Seit den 1990er Jahren nahm er wiederholt an Treffen der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger e.V.“ teil.

Auf seinem Facebookprofil ehrt er einzelne von ihnen zu gegebenen Anlässen. Dank des erfolgreichen Abschneidens seines Parteifreundes Harry Fröhlich erhielt auch Hild bei der Wahl zum Gemeinderat am 9. Juni 2024 auf der Liste der sogenannten Alternative für Deutschland einen Sitz im Gemeinderat vom Mittelherwigsdorf.

Die ganze Veranstaltung fand auf einem Grundstück statt, das aktuell von der Familie Dienel aus Herrnhut gepachtet wird und nach Aussagen eines Teilnehmers der Veranstaltung durch diese eigens dafür zur Verfügung gestellt wurde. Derselbe Zeuge behauptete zudem, dass die Familie selbst zu den Teilnehmenden gehört habe.

Kristina Dienel wurde bei den jüngsten Kommunalwahlen für die Freien Sachsen in den Herrnhuter Stadtrat und den Kreistag des Landkreises Görlitz gewählt.

Auf Facebook verteidigte die angehende Stadträtin die völkische Veranstaltung als harmlose Traditionspflege. Maßgeblicher Organisator scheint aber Stephan Jurisch (geb. Roth) aus Oybin gewesen zu sein – ein Informationsflyer, der an Anwohner*innen verteilt wurde, war von ihm unterschrieben. Jurisch war u.a. in der inzwischen verbotenen neo-nationalsozialistischen Heimattreuen Deutschen Jugend aktiv.

Am selben Abend fand wenige Kilometer entfernt auch in Niederorderwitz eine Sonnenwendfeier statt. Dort ist die Veranstaltung schon seit vielen Jahren etabliert. Das Verhältnis zur nationalsozialistischen Tradition ist hier eher durch unterlassene Distanzierung und Interpretationsspielräume bestimmt. Der Charakter der Feier ist vorgeblich stärker an heidnische Bräuche angelehnt.

Dass aber zum Beispiel auch in diesem Jahr am Holzstapel eine Tiwaz-Rune prangte, die auch das Erkennungszeichen der Hitlerjugend, einer SS-Freiwilligendivision und als Abzeichen der SA-Reichsführerschulen verwendet wurde, ist zumindest erneut Anlass genauer hinzusehen. Nachdem es im vergangenen Jahr zum wiederholten Male eine öffentliche Auseinandersetzung über das Event in Niederoderwitz gab, wäre eine entsprechende Klarstellung und deutliche Distanzierung seitens des Veranstalters oder wenigstens mehr Aufmerksamkeit der Behörden zu erwarten gewesen – nichts dergleichen scheint der Fall zu sein.

Bei der im Ortsteil Niederoderwitz durchgeführten Sonnenwendfeier handelt es sich unserer Einschätzung nach um eine Brauchtumsfeier, die in ihren Elementen mindestens an völkisch-heidnische Rituale angelehnt ist. In der Gestaltung ähnelt sie wie auch jene in Herrnhut auffallend den Sonnenwendfeiern der 2023 verbotenen Artgemeinschaft, Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V..

Neben dem üblichen Balkenfeuer, dessen „gemeinschaftlicher Aufbau“ am ersten Tag stattfand und das in einem „heidnischen Ritual“ entzündet wurde, gehörte laut Veranstaltungsflyer auch die Errichtung eines Questenbaumes zum Programm. Entgegen der Behauptung eines Mitorganisators bei der Gemeinderatssitzung 2023, dass es sich hierbei um eine Privatveranstaltung im Kreis von Nachbar*innen und Freund*innen handele bzw. es eine Veranstaltung für Oderwitzer*innen sei, wurden wohl gezielt gewisse Kreise angesprochen und ist die Feier in Oderwitz eher unbekannt.

Die Einladungsflyer wurden nicht öffentlich ausgelegt, sondern gezielt verteilt und die Teilnehmenden gebeten sich im Vorfeld anzumelden. Laut Aussagen von Besucher*innen, kommen die Teilnehmenden u.a. auch aus der Schweiz, Ungarn und Österreich. Zudem wurde mit einem „Unkostenbeitrag“ eine Alternative zu Eintritt genommen.

Seit 2018 habe das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz die Veranstaltung im Blick. 2022 erregte die Feier durch Veröffentlichung eines Rechercheartikels (https://rosainfo.noblogs.org/sommersonnenwende-oderwitz/) das Aufsehen der Öffentlichkeit und führte zu Diskussionen über ihre Bewertung.

Mitorganisator Raik Molitor habe laut Berichten der Sächsischen Zeitung ausgesagt, die Veranstalter*innen hätten sich „von einer politischen Bühne abgekapselt“. Genau für diese mutmaßliche Schutzbehauptung fehlt jedoch der Beweis.

Stattdessen werden nun bereits seit vielen Jahren an besagtem Ort Sonnenwendfeiern unter Abkapselung von der Öffentlichkeit veranstaltet, die für neonazistische Politik Anschluss bieten. Symbole wie das nationalsozialistische Gegenstück zum Christenkreuz (Irminsul), das Symbol der verbotenen „Wiking Jugend“ (Odalrune) oder der Hitler-Jugend (Tiwarz- oder Tirrune) wurden über mehrere Jahre gesichtet und dokumentiert.

Auch personell konnten in der Vergangenheit die Teilnahme von rechten bis neonazistischen Akteur*innen sowie die Mitwirkung einer Band wie „Waldtraene“, die mit dem Label „Asatru Klangwerke“ zusammenarbeitet, festgestellt werden.

Der verdichtete Eindruck einer unterlassenen Distanzierung von oder gar der offene Bezug zu völkischem Gedankengut und dessen Vertreter*innen veranlasste die Demokratie AG Ostsachsen, im vergangenen Jahr mit einem Aufklärungsflyer auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen.

Dieser wurde in Oderwitz an sämtliche Haushalte verteilt. Antrieb war nicht zuletzt die Sorge, dass völkische Strukturen und Netzwerke in Ostsachsen unbehelligt ihre Aktivitäten und ihre Mitgliederzahlen ausbauen können. Ziel war es, die Bevölkerung von Oderwitz für eine Veranstaltung zu sensibilisieren, die sich entsprechend neurechter Strategien als Beitrag zum lokalen und regionalen Gemeinwesen inszeniert, deren Veranstalter*innen sich damit in der Gesellschaft etablieren wollen, um schließlich ihre politischen Anschauungen auf dem Pfad persönlicher Verbundenheit zu verbreiten.

Der Flyer der Demokratie AG Ostsachsen war außerdem als Unterstützung kommunaler Politik gedacht, die sich in der Verantwortung sieht, mit einem Problem umzugehen, für das in der Bevölkerung nur wenig Bewusstsein besteht. In der lokalen Presse wurde der Flyer in einer Weise aufgegriffen, die die darin angemeldeten Bedenken als überzogen oder gar unberechtigt erscheinen lässt.

Dem Redakteur gab scheinbar weniger die Veranstaltung selbst, sondern vielmehr ein Zwischenfall mit Pressvertreter*innen Anlass einen Artikel zu verfassen. Auswärtigen Journalisten war durch Teilnehmer der Sonnenwendfeier Recherche für einen Bericht über die Veranstaltung untersagt worden.

In dem Artikel, der am 25. Juni 2023 auf der Website der Sächsischen Zeitung publiziert wurde, wird die Darstellung der am Abend zur Konfrontation zwischen Veranstaltungsteilnehmern und Presse hinzugezogenen Polizei wiedergegeben.

Dabei machte sich der Redakteur die Einschätzung zu eigen, dass die Überprüfung der Veranstaltung den „Verdacht auf Rechtsextremismus oder verbotene Symbolik“ nicht habe erhärten können und es sich stattdessen um eine „ganz normale Feier mit Wikinger- und Mittelalter-Touch“ gehandelt habe.

So lautete auch die historisch eher zweifelhafte Erläuterung zum Charakter der Veranstaltung, die die Teilnehmer der abgewiesenen Presse auftischten. Das mythische Fundament rechter Ideologie wird damit als unpolitischer Freizeitspaß verharmlost. Die von rechten Strukturen und Akteuren kultivierte Verengung deutscher Traditionsbestände auf eine vom Christentum bereits im Frühmittelalter überlagerte, erst im Zusammenhang mit der nationalen Romantik des 19. Jahrhunderts wieder ausgegrabene und vergleichsweise unbedeutende germanische Wurzel, wird hier politisch instrumentalisiert und wäre insofern zu dekonstruieren. Es liegt der Verdacht nahe, dass sich die historisch und politisch unkundige Polizei diesen Germanen im Wikingerpelz hat aufbinden lassen.

Unglücklicher Weise hat die Sächsische Zeitung es dann nur noch abgeschrieben. Zwar wird im Artikel die Diskussion über die Veranstaltung im Vorjahr erwähnt, jedoch inhaltlich nicht weiter gewürdigt. Angesichts der wesentlich differenzierteren Berichterstattung der Sächsischen Zeitung über die Veranstaltung im Jahr 2022 wäre hier eine ausreichende Grundlage für die adäquate Einordnung vorhanden gewesen. Es entsteht der Eindruck, als sei all dies in diesem Jahr nicht mehr von Relevanz.

Wir bemängeln diese offenkundig ungenügende Recherche, bzw. undifferenzierte Darstellung. Umgang der Polizei und des Redakteurs mit der Sonnenwendfeier werfen dabei vor allem die Frage auf, wie es um das Bewusstsein für Aktivitäten antidemokratischer Akteur*innen und Strukturen in der Region bestellt ist.

Die wahrnehmbare Verharmlosung neu-rechter Strategien und Akteur*innen bereitet uns umso größere Sorge. Das eben dieser Umgang dazu führt, dass solche Feiern sich immer weiter ausbreiten und etablieren, zeigt die Zunahme der Sonnenwendfeiern im Landkreis.

Das vor allem in Strahwalde kein abgelegener, unbeobachteter Ort gesucht wurde und die Feier direkt im Ort und nur wenige Meter von den Wohnhäusern entfernt stattfand, zeigt deutlich, dass die Veranstalter*innen sich durch ausbleibende Konsequenzen und fehlgeleitete Toleranz legitimiert sehen.

Das im Beisein der Polizei oben beschriebene Handlungen begangen und entsprechende Bilder erzeugt werden konnten, war auch durch das fehlende Hintergrundwissen seitens der Beamt*innen zu völkisch-nationalistischer Vereinnahmung solcher Rituale möglich.

Wir erwarten von der Polizei, dass sie sich mit den ideologischen Hintergründen solcher Veranstaltungen und den Gefahren, die von ihnen ausgehen, auseinandersetzt und zu einer eigenen Einschätzung der Sachlage kommt, anstatt sich die Beschwichtigungsversuche der Veranstalter*innen anzueignen und das Problem herunterzuspielen.

Die Verfassungsschutzbehörde sollte überdies nicht nur Informationen sammeln, sondern ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit oder mindestens den politisch Verantwortlichen kommunizieren, damit ein entsprechender Umgang mit solchen Strukturen und Veranstaltungen gefunden werden kann.

Wir erwarten von den Veranstalter*innen, dass sie ihre Behauptung über den unproblematischen Charakter untermauern und den Verdacht ausräumen, dass die Oderwitzer Sonnenwendfeier rechten Netzwerken Anlass und Raum ist, ihre völkische Gesinnung auszuleben und zu verbreiten.

Pressevertreter*innen bitten wir um eine kontinuierliche verantwortungsbewusste Recherche und entsprechend ausgewogene Berichterstattung, die nicht durch Fahrlässigkeit die Dimension des Problems herunterspielt.

Die Demokratie AG ist ein Netzwerk aus 14 zivilgesellschaftlichen Trägern, die sich gemeinsam schwerpunktmäßig mit bestehenden rechten Strukturen auseinandersetzen, menschenverachtenden Meinungsbildern widersprechen und der Missachtung der Menschenrechte in der Region Ostsachsen entgegentreten.

Durch uns werden Bürgerschaft, Zivilgesellschaft, Vertreter*innen der kommunalen Politik über aktuelle Entwicklungen (weiter) aufgeklärt. Wir sind für alle demokratischen Kräfte ansprechbar und wollen diese befähigen, sich aktiv und kritisch mit den genannten Themen zu beschäftigen. Dies gilt auch für Journalist*innen, die über diese Themen in der Region berichten und dabei offene Fragen haben.

Quelle: demokratieagostsachsen.de/